Freitag, 18. Dezember 2009

Am Besten nachts zur Tablette greifen?

Die innere Uhr des Menschen beeinflusst die Wirkung von vielen Medikamenten. Die Medizin macht sich diese Erkenntnis zunehmend zu Nutze.

„Darf ich bitten zum Fango um Mitternacht?" – Könnten schon bald Therapeuten in Kurorten Heilung suchende Patienten fragen. Medizinisch macht das Sinn. Denn Wärmebehandlungen wie Fango oder Sauna, die auf eine bessere Durchblutung der Haut und auf eine Gefäßerweiterung abzielen, sind in den Morgenstunden weniger wirkungsvoll. Dafür aber abends und vor allem gegen Mitternacht, wenn die Kerntemperatur des Körpers besonders niedrig ist.

Auch in vielen anderen Bereichen gibt es für Ärzte gute Gründe bei der Behandlung von Beschwerden oder Erkrankungen auf die innere Uhr zu schauen. So reagiert der Körper beispielsweise morgens auf Kälteanwendungen, etwa auf Kneipp-Güsse, besonders intensiv. Vor allem spielt diese innere Uhr bei der Einnahme von Medikamenten eine erstaunliche Rolle. Es ist ganz und gar nicht egal, ob ein Schmerzmittel, ein Asthmamedikament, ein Blutdrucksenker oder ein Krebsmedikament am Morgen, Mittag oder Abend eingenommen wird. Das gleiche Kreislaufmittel kann beispielsweise zehnmal stärker wirken, wenn es in den frühen Morgenstunden statt am Abend in den Körper gelangt. „Wir müssen die starren Dosierungsvorschriften von Medikamenten überdenken“, fordert Prof. Björn Lemmer, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Heidelberg. Für eine ganze Reihe von Krankheiten hat er Anregungen für die beste tageszeitliche Einnahme von Medikamenten entwickelt. Hier einige Beispiele:

Schmerzmittel
Azetylsalizylsäure (ASS) und andere, ähnlich wirkende Mittel mit schmerzlindernder und entzündungshemmender Wirkung aus der Gruppe der so genannten nicht-steroidalen Antirheumatika sollten nach Möglichkeit abends eingenommen werden. Sie werden im Magen aus noch nicht restlos geklärtem Grund am Abend besser als am Morgen vertragen. Das ist problemlos möglich, wenn ASS zur Vorbeugung von Herzinfarkt genommen wird; bei akuten Schmerzzuständen folgt die Einnahme freilich zwangsläufig dann, wenn der Schmerz spürbar ist.

Magengeschwür
Wer H2-Blocker einnehmen muss, sollte dies bevorzugt abends tun. Forschungen ergaben, dass dies der beste Zeitpunkt ist  angesichts der tageszeitlichen Schwankung der Säureproduktion im Magen. Allerdings sollte dann hinterher nichts mehr gegessen werden. Wenn Protonenpumpenhemmer (PPI) verschrieben werden, ist es umgekehrt wie bei den H2-Blockern: Am Morgen eingenommene PPI verringern den Säuregehalt im Magen stärker, als wenn das Mittel am Abend genommen wird.

Asthma
Bei Asthmatikern nimmt – wie bei jedem Menschen – nachts die Lungenaktivität ab und der Spiegel der Hormone Cortisol und Adrenalin sinkt. Deshalb treten Asthmaanfälle in der nächtlichen Ruheperiode etwa 10-mal häufiger auf als am Tag. Ärzte empfehlen, bei bestimmten Asthmamedikamenten wie Theophyllin-Retardpräparaten oder Salbutamol abends die doppelte Menge wie am Morgen einzunehmen. Es gibt neuere Mittel, die ausschließlich abends genommen werden.

Bluthochdruck
Bei der Behandlung der Hypertonie spielt die innere Uhr eine besonders große Rolle. Zur Regulierung des zumindest teilweise chronobiologisch verursachten Blutdruckanstiegs zwischen 6 und 12 Uhr werden Medikamente empfohlen, die ihren Wirkstoff verzögert freisetzen (Retardpräparate). Menschen mit hohem Herzinfarktrisiko können sie vor dem Schlafengehen nehmen – die Wirkung setzt erst später ein, wenn sie erforderlich ist: ab morgens 3 Uhr.

Rheuma
Rheumapatienten klagen vor allem in den Morgenstunden über Gelenksteifigkeit und Schwellungen. Meist bessern sich diese Beschwerden im Laufe des Tages. Deshalb wird empfohlen, Retardformen von Rheumamitteln am Abend einzunehmen, damit die morgendlichen Beschwerden gelindert werden.

Krebs
Bei der Chemotherapie kann die innere Uhr mit eingesetzt werden, denn gesunde Zellen folgen der inneren Uhr – die bösartigen Tumorzellen aber nicht. Deshalb können bei Krebspatienten Infusionspumpen mit dem Medikament angelegt werden, die den Wirkstoff nie dann abgeben, wenn sich gerade die gesunden Zellen teilen. So werden Schleimhäute und das Immunsystem dieser Patienten besser geschont.

Kortison
Patienten, die Kortisonpräparate einnehmen müssen, können ebenfalls von den Erkenntnissen der neuen Wissenschaft von der inneren Uhr, der Chronopharmakologie, profitieren: Denn Messungen haben ergeben, dass der ideale Zeitpunkt der Einnahme morgens ist. Dann nämlich ist die körpereigene Produktion am höchsten und es können viel niedrigere Dosierungen ausreichen, die erwünschte Wirkung zu bringen.

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